Meinen Nachmittag verbrachte ich in einem wundervollen alten Kino in der Friedrichshagener Bölsche Straße. In dem französischen Film ging es um zwei Menschen, die eine Affäre in Paris beginnen. Der Mann ist zunächst unsicher, dass es eine Frau gibt, die einfach nur Sex von ihm möchte. Keine komplizierte Verbindung, keine Verliebtheit, keine Dramen – und das, obwohl sie Single ist. Er dagegen ist verheiratet. Dennoch zieht ihn dieses Abenteuer an. Die Zwei entdecken die Leichtigkeit, die entsteht, wenn man sich nur auf seine Bedürfnisse konzentriert ohne den anderen Menschen aus den Augen zu verlieren.

Egoistisch meinten jetzt vielleicht manche. Aber mal ehrlich:

Ist Monogamie nicht nur eine scheinbare Sicherheit?

Ich denke da zum Beispiel an denjenigen, der versucht stets treu zu sein. Damit meine ich nicht den Part der Beziehung, der, angesichts eines geringen Selbstwertgefühls eh keine Chance auf eine außerpartnerschaftliche Liaison sieht. Nein, ich meine den Partner, der sich umsieht und mit wachen Augen durch die Welt geht und jeder Versuchung widersteht. Er hält sich an die Regeln der monogamen Beziehung völlig im Ungewissen, ob der Partner es auch tut.

Als ich in den vergangenen Monaten meine ersten Erfahrungen auf Tinder und Bumble sammelte, war ich echt geplättet von der Vielzahl an Männern, die hier auf der heimlichen Suche nach einer unverbindlichen Affäre neben ihrer monogamen Partnerschaft auf meinem Profil landeten. Ich verurteile sie nicht.

Oft stecken Menschen in monogamen Beziehungen in einem Dilemma. Einerseits wollen sie ihren Partner nicht verlieren und das aus ganz unterschiedlichen Gründen. Andererseits hat die monogame Beziehung auch einen echten Nachteil. Hat der Partner keine Lust auf Sex, bleibt einem selbst erstmal nichts anderes übrig als selbst Hand an zu legen. Für eine Zeit lang mag das gehen, doch mit jedem „Nein“ zum gemeinsamen Sex entstehen neue Probleme.

Unser Verständnis endet dort, wo Gründe vorgeschoben werden oder wenn der Zeitraum einfach zu lang ist. Im Kopf entstehen andere Ideen. Sie will keinen Sex mehr mit mir, weil ich nicht mehr so attraktiv bin, weil ich nicht die richtige Leistung bringe, weil ich nicht mehr so erfolgreich bin wie früher, weil ich ihr langweilig geworden bin etc. Kein schönes Gefühl.

Sie begeben sich also in ein gefährliches Doppelleben. Die Gefahr durch eine Freundin oder Kollegin der Partnerin erkannt zu werden, steht stets im Raum, wird aber zu Gunsten des Gefühls begehrt zu werden an den Rand gedrängt.

Warum sucht man nach einer Affäre trotz (funktionierender) Beziehung?

Ja, du hast richtig gelesen: die Beziehung zum festen Partner muss nicht zwangsläufig marode sein, damit man bei einer Dating- Plattform strandet. Es ist einfach Beschiss an sich selbst zu glauben, dass man mit einem Menschen in jeder Lebenslage immer seine Bedürfnisse befriedigt findet. Mir hat die Aussicht, mein Leben mit nur noch einem Mann zu verbringen, echt Angst gemacht. Denn was ist mit meinen Bedürfnissen in der monogamen Beziehung, wenn er nicht will oder kann? Was passiert, wenn ich mich sexuell weiterentwickeln will, mein Partner aber meine Vorlieben nicht teilt?

Ich habe neulich ein interessantes Gespräch mit einem Mann geführt, der vor so einem Dilemma steht. Vor 30 Jahre hat er seine Partnerin kennengelernt. Sie war damals Anfang 40 Jahre alt und er Ende 20. Das hat beide damals nicht gestört. Heute leidet sie unter vielen chronischen Krankheiten. An Sex mit ihr ist nicht mehr zu denken. Aber er fühlt sich noch in den besten Jahren und wünscht sich noch Sexualität. Verlassen ist nach den vielen Jahren durch dick und dünn gehen auch keine Option für ihn.

Im Laufe meiner Erfahrung als Coach habe ich eine spannende Philosophie entwickelt:

Wenn einer der Partner fremd geht, tut es der andere auch!

Das kann zum einen das tatsächliche außerpartnerschaftliche Fremdgehen sein. Aber auch wer seinen Fokus vom Partner abwendet, geht meines Erachtens fremd. Der Clou des Beschisses liegt hier in der allgemeinen Akzeptanz der Gesellschaft für diese perfide Art des Betruges. So scheint es völlig normal, dass Mütter oder Väter ihre Kinder an die Stelle setzen, die eigentlich dem Partner vorbehalten sein sollte. Oder nur noch die Arbeit, das Hobby oder der Verein verursacht eine echte Leidenschaft.

Monogamie ist wie eine Jogginghose!

Die Monogamie ist wie eine graue Jogginghose. Zuerst ist sie noch neu, gibt Sicherheit, Bequemlichkeit und Bewegungsfreiheit. Beginnen wir eine klassische monogame Beziehung sind wir uns sicher: dies ist ein Partner fürs Leben. Einer, mit dem man alles zu jeder Zeit machen kann. Mit dem richtigen Menschen an der Seite fühlen wir uns stark, glücklich und im Fluss. Es wird kuschelig vertraut, bequem und gemütlich. Keine Angst vor unangenehmen neuen Situationen oder Veränderungen. Kein Alleinsein, keine Dates mehr.

Dazu kommt noch, dass wir nun dem Club der Jogginghosenträger angehören. Alle grau – man erkennt sich sofort! Ist das nicht toll? Es gibt sogar Elite – Treffen (man nennt sie meist DVD-Abend oder Essen gehen mit anderen Jogginghosen – Pärchen), die Nicht-Jogginghosenträgern vorenthalten werden. Ausbrechen aus der Norm ist nicht gerne gesehen. Selbst an den Häusern erkennt man die Jogginghosenträger. Schlüsselfertiges Reihenhaus mit Minigarten – bloß keine Individualität. Was wir nämlich zeitig lernen, ist, dass Individualität zwar mal eine Zeit lang ganz aufregend ist, aber am Ende doch immer die Erfüllung in einer monogamen Beziehung liegen muss.

Mit der Zeit gewöhnen wir uns an die Jogginghose, bilden uns aber stets ein, wir könnten sie ganz einfach wieder gegen eine Anzugshose, Chino oder Jeans tauschen. Doch wer das nach einer längeren Zeit tatsächlich mal ausprobiert hat, muss feststellen, dass es ein ganz merkwürdiges Gefühl ist. Es ist, als würde uns etwas andere Hosen nicht mehr richtig passen. Nicht mehr zu unserem Leben, noch zu uns selbst. Es ist unangenehm, unbequem und macht uns darauf aufmerksam, dass wir schon längst wieder bei Fitnesstraining sein sollen – auf uns achten sollten. Aber statt dies zu tun, ziehen wir die Bequemlichkeit vor und die Jogginghose schnell wieder an.

Dem schüchternen Protagonisten Simon aus dem französischen Kinofilm geht es ähnlich. Nach 17 Jahren Ehe hat er fast vergessen, wie es ist, sich begehrt zu fühlen. Sich der Aufmerksamkeit und der nahezu bedingungslosen Hingabe einer Frau gewiss zu sein, überfordert ihn anfangs. Er befürchtet, sie wolle irgendwann mehr von ihm. Doch Charlotte denkt gar nicht daran. Sie will den Augenblick mit ihm genießen. Kindische Leichtigkeit statt starrer Definition kennzeichnet ihre Art eine Beziehung außerhalb der Monogamie zu führen. Sogar für einen Dreier ist Platz in der Beziehung.

Das Leben außerhalb der Norm ist nicht nur was für Außenseiter!

Unsere gesellschaftlichen Vorbilder haben uns ebenfalls vorgelebt, dass die Krönung des Lebens in der monogamen liebevollen Partnerschaft besteht. Und tief in vielen Herzen besteht deshalb auch der Wunsch nach dem einen richtigen Partner, der uns immer glücklich macht.

Bis vor Kurzem stand auch das Überleben und die Sicherheit im Fokus. Beziehungen wurden arrangiert um abgesichert zu sein. Der Mann war meist der Versorger. Dies scheint angesichts unserer zunehmenden Entwicklung nicht mehr zeitgemäß.

Natürlich kennen wir aber auch Beispiele von Menschen, die sich der Monogamie entziehen. Aber mal ehrlich: sind das nicht alles Freaks? Zum einen wäre da der eine Onkel, der schon immer Junggeselle ist, den Heiratszenit aber schon deutlich überschritten hat und nun als armseliger schrulliger Dauersingle gilt. Oder diese Reiner- Langhans – Typen mit den strähnigen Haaren, der Yogamatte und den Tantrakursen. So will doch nun wirklich keiner enden, oder?

Offene Beziehungen machen vielen Menschen Angst, weil sie den Vergleich mit anderen Menschen scheuen.

Ich möchte dich dazu einladen heute einmal mutig zu sein.

Mal neue Gedanken auszuprobieren.

Stell dir vor, wie es wäre, wenn du deine sexuellen Bedürfnisse frei äußern könntest.

Und jemand anderes würde diese Bedürfnisse gerne erfüllen. Weil es ihr ein Leichtes ist, nicht etwa weil du es dir wünschst. Sie tut es, weil es ihr genauso viel Freude bereitet, wie dir.

Alles ist freiwillig und wenn jemand etwas tut, dann wirklich nur, weil es von Herzen kommt.

Es ist vielleicht so ein warmes angenehmes und am Anfang noch ungewohntes Gefühl, sich begehrt zu fühlen, den eigenen Wert wieder zu spüren. Den Moment zu leben und zu lieben.