So hat sich unsere offene Beziehung entwickelt

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als wir uns dazu entschlossen haben, unsere Beziehung zu öffnen. Im Gegensatz zu meinem Freund hatte ich darin schon erste Erfahrungen sammeln können. Gefühlschaos, Eifersüchteleien aber auch diese Aufregung und das Kribbeln hatte ich schon erlebt. Einerseits hatte mich diese Offenheit fasziniert, andererseits war sie aber nur schwer zu kontrollieren.

Auf keinen Fall wollte ich meinen Schatz für so ein flüchtiges Abenteuer hergeben, wollte nicht, dass er sich in jemand anderen verliebte. Obwohl ich viel Vertrauen in unsere Verbindung setzte, blieb es trotzdem ein nicht kalkulierbares Risiko. Ich wusste, dass uns beiden Abwechslung und Sex sehr wichtig sind und wie viel Spaß es macht, seine Lust zu teilen. Also stellten wir Regeln auf, um unsere Beziehung zu schützen.

Beziehnungsstress lösen
Offene Beziehung Foto von Bettina Omerovic

Phase 1 – Die Anonymität

Ich schlug vor, dass wir unsere echten Namen, Berufe und Wohnort sowie Familienstand veränderten. Die Idee dahinter war ganz einfach. Wir besorgten ein extra ein Handy, welches wir benutzten um zusammen die Nachrichten zu lesen oder zu schreiben. Wir wollten mit unserer offenen Beziehung anonym bleiben – unauffindbar für unsere Spielpartner. Ich hatte einen Job, wo ich Gefahr lief, dass mich ein Kunde wiedererkannte. Also nannten wir uns Tom und Vanessa, waren verheiratet und lebten in Berlin. Zusätzlich vereinbarten wir, dass wir nicht mit den Spielpartner nicht kuschelten oder zu persönlich wurden und wir immer (auch räumlich) zusammenbleiben wollten. Treffen bei uns in der Wohnung waren tabu.

Schon bei unserem ersten Date kamen unsere langüberlegten Regeln an ihre Grenzen. Das andere Paar war so freundlich und in sich gefestigt, dass diese Vorsichtsmaßnahmen gar nötig gewesen wären. Ich war sehr überrascht, wie eifersuchtsfrei und wertschätzend sie sowohl mit uns umgingen. Es war surreal, dass sich das Paar einerseits innig liebte, anderseits sich uns offen und interessiert zuwandte. Wir fühlten uns in ihrer Wohnung wie Freunde, die sich schon ewig kannten.

Nach unserem 2. Treffen kam ich mir mies und wie eine Betrügerin vor.

Noch schlimmer wurde es nach einem Date mit einem einzelnen Mann. Er war sehr rücksichtsvoll und lud uns sogar in eine Whatsapp- Gruppe mit gleichgesinnten Menschen ein. Weil er so cool fand, wie entspannt wir innerhalb unserer offenen Beziehung blieben. Ich weiß noch, wie wir auf der Heimfahrt im Auto darüber debattierten, ob wir unsere Identität verraten sollten. Im Übrigen war ich da eher die Bremse als mein Partner, der noch keine Vorerfahrungen hatte.  

Phase 2 – Ehrlichkeit

Es war mir so peinlich, die Worte in mein Handy zu tippen. Wir hatten gelogen. Nicht um die anderen zu verletzen, sondern nur um uns zu schützen. Aber stimmte das? Aus heutiger Sicht würde ich sagen, ich hatte einfach wahnsinnige Angst, meinen Mann zu verlieren, aber auch davor, mich selber zu verlieben. Ich war immer so ein „Strohfeuer – Typ“- schnell Feuer und Flamme aber eben auch genauso schnell wieder erloschen und kühl.

Glücklicherweise reagierte der Mann am anderen Ende des Handys leicht amüsiert aber verständnisvoll. Ich fühlte mich einerseits erleichtert und witzigerweise auch befreit. Es war, als sei ich mir selbst ein Stück nähergekommen.

Phase 3 – Alleingänge

Wir hatten immer wieder lange Phasen, in denen wir niemand anderen trafen. Das lag vorallem an der Fernbeziehung, die wir führten und zusätzlich an jedem Wochenende an unserem gemeinsamen Haus bauten. Wir nutzten die Zeit um unsere Beziehungen immer weiter durch tiefgründige Gespräche zu festigen. Als wir dann Lust hatten andere Menschen zu treffen, gestaltete es sich ziemlich schwierig. Nur selten wollte uns ein Paar im Gesamten gefallen. Einzelne Spielpartner waren oft nicht erbaut, wenn wir den Partner im Schlepptau mitbringen wollten. Und so bröckelte auch langsam die nächste Regel.

Das erste Mal traf ich mich alleine mit einem Mann, den wir beide bei einer Swingerparty kennengelernt hatten. Natürlich wollte mein Partner danach alle Details wissen. Nicht, weil er mir nicht vertraute sondern weil es ihm Lust machte, sich die Situation vorzustellen.

Mir kam nach dem ersten Treffen alleine siedend heiß in den Sinn, dass ich vermutlich eine unserer Regeln gebrochen haben könnte, denn nach dem Sex hatten wir noch ein bisschen nebeneinander gelegen und gequatscht, später sogar noch zusammen Pizza geholt und diese vor der 2. Runde gemeinsam verspeist. Wir hatten zwar nicht richtig gekuschelt aber dennoch einige Zeit vertraut miteinander verbracht. Ich war ziemlich verunsichert.

Mein Mann reagierte gelassen auf die Situation. Das gab mir Mut, dass unsere Beziehung so innig war, dass wir uns alles erzählen konnten.

Nach einem Dreier mit einer anderen Frau wurde mir klar, dass mich Frauen nur wenig interessierten. Dennoch wollte ich, dass mein Mann andere Mädels kennenlernte und wir einigten uns darauf, dass er sich bei Online-Dating- Plattformen anmeldete, aber immer kommunizierte, dass er in einer offenen Beziehung sei. Wieder kam eine neue Regel hinzu.

Ehrlich gesagt, war das erste Mal, dass er ohne mich unterwegs war, grauenvoll für mich. Ich tigerte durch das Haus (wir wohnten mittlerweile zusammen), malte mir die wildesten Szenarien aus und konnte mich auf nichts konzentrieren. Als er nach Hause kam, fiel es mir schwer, zu hören, was er erlebt hatte. Details wollte ich nicht wissen, denn die befeuerten mein Kopfkino.

Ich fragte mich, wie er das wohl umgekehrt ausgehalten hatte und ein Teil von mir wollte einfach alles hinschmeißen, die Beziehung wieder schließen und nie mehr so fühlen, wie in diesem Moment. Und dann dachte ich an die Erfahrungen, die wir gemeinsam und ich alleine gesammelt hatten und was es bedeuten würde, die Beziehung zu schließen. Es fühlte sich nicht richtig an.

Phase 4 – Pause

Ich brauchte erstmal eine Pause. Zum Glück hatte mein Mann Verständnis für meine Situation und sicherte mir zu, dass er vorerst keine Dates vereinbaren würde. Die Situation forderte mich wirklich heraus, weil ich es so gerne wollte – offen leben und lieben, aber es so schwer zu lassen konnte.

Manchmal habe ich so Momente, wo es mir gelingt, die Dinge ganz objektiv und ohne Gefühl zu betrachten und in genau so einem Augenblick schaute ich kritisch auf mich. Was genau störte mich eigentlich wirklich daran, wenn er sich mit einer anderen vergnügte?

Es war nicht der Sex, der mich verunsicherte, sondern, dass die andere Frau schlanker, hübscher oder einfach besser sein könnte als ich. Der Vergleich, dass war das, wovor ich Angst hatte, weil mein Selbstbewusstsein nur nach außen hin stark erschien. Es war Zeit, an mir und meinem Blick auf mich selbst zu arbeiten.

Phase 5 – Vertrauen

Erst als ich begriff, dass uns mehr verbindet, als nur Äußerlichkeiten und ein gemeinsames Ziel, konnte ich meinen Wert für ihn und umgekehrt erkennen. Vielleicht klingt das jetzt ein bisschen verrückt, aber ich stelle es mir so vor:

Wir leben innerhalb einer Welt und sind mit manchen Menschen mit unsichtbaren Schnüren verbunden. Es gibt Menschen, die unser Leben nur kurz betreten und sofort aber bedeutungslos verlassen. Das sind jene, die keine Verbindung zu uns haben. Und dann gibt es Menschen, mit denen sind wir verbunden und wenn wir ihnen begegnen, vibriert der dünne Faden…mal ganz heftig und bei anderen ganz zart. Das sind Menschen, die alle das Potential haben, mit uns eine besondere Bindung einzugehen. Die Entscheidung liegt bei mir, bei wem ich mehr von mir zeigen möchte und damit die Verbindung stärke. Und je öfter ich das tue, je ehrlicher ich mich zeige, so wie ich wirklich bin, desto dicker wird der Faden. Egal, was auch immer passiert, wir bleiben miteinander verbunden.

Erst dieses Vertrauen macht es mir heute möglich, meinen Partner gehen zu lassen, wohin auch immer es ihn zieht. Ich weiß, wir sind verbunden. Nicht durch einen Ehering oder ein Versprechen, sondern dadurch, dass wir uns dem anderen zeigen, wie wir sind und nicht, wie wir sein wollen.  

Wie ist das bei dir? Zeigst du dich nach außen offen und verletzlich? Lebst du schon das, was du fühlst?